Julian Treasures TED-Talk „Wie man spricht, damit die Leute zuhören wollen“ ist der sechstmeistgesehene TED-Talk aller Zeiten. In seinem neuen Buch „Sound Affects: Wie Klang unser Leben, unser Wohlbefinden und unseren Planeten prägt“ nimmt uns Julian mit auf eine epische Reise, um das Wunder des Klangs neu zu entdecken und unser eigenes Glück, unsere Leistungsfähigkeit und unser Wohlbefinden zu steigern.
von JULIAN TREASURE | 2025
Den Homo sapiens gibt es seit etwa 300.000 Jahren, unsere Vorfahren sogar bis zu drei Millionen Jahre davor. Die meiste Zeit war unser Verhältnis zu Geräuschen in erster Linie eine Frage des Überlebens. Frühe Menschen nutzten Geräusche zur Jagd und zur Gefahrenerkennung: Unser Gehör funktioniert nachts genauso gut wie tagsüber, und wir können hören, was hinter uns ist. Es ist also unser primärer Warnsinn – was vielleicht der Grund dafür ist, dass wir Geräusche etwa 20-mal schneller verarbeiten als unser Sehvermögen.
Fast unser gesamtes Leben lang war Klang unsere wichtigste Verbindung zur Welt. Alles menschliche Wissen wurde akustisch weitergegeben; da es keine Aufzeichnungen gab, war Aufmerksamkeit entscheidend, denn wer etwas verpasste, verlor es. Vor etwa 5.000 Jahren entwickelte sich die Schrift und verbreitete sich, blieb jedoch der Elite vorbehalten, bis sich Lesen und Schreiben zur Zeit der industriellen Revolution vor knapp 200 Jahren weit verbreiteten.
Heutzutage wird in der Schule Lesen und Schreiben gelehrt, nicht aber Sprechen und Zuhören. Mit der Entwicklung von E-Mail, persönlichen Geräten, SMS und Instant Messaging und vor allem sozialen Medien werden unsere Augen und Finger von der visuellen Kommunikation so abhängig, dass sich viele junge Menschen bei Gesprächen unwohl fühlen, egal ob persönlich oder am Telefon.
In einer Welt, die von Augen dominiert wird, haben wir unsere Ohren abgeschaltet. Architekten entwerfen für die Augen, und so beeinträchtigen viele der Räume, in denen wir arbeiten, lernen, heilen und leben, unser Glück, unsere Leistungsfähigkeit und unser Wohlbefinden.
Da die Weltbevölkerung wächst und mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten lebt, wird es auf der Welt jedes Jahr lauter, was verheerende Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft und Gesundheit sowie auf die Tiere hat, mit denen wir den Planeten teilen.
Der Lärm von über einer Milliarde Autos, Lastwagen und Bussen sowie Millionen von Düsenflugzeugflügen nimmt jedes Jahr zu, mit gut dokumentierten Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensqualität:
Unsere Reaktion auf den Lärm ist, lauter zu schreien und die Ohren noch mehr zu verschließen. Das Internet ist voller Echokammern, die Menschen zu immer extremeren Ansichten treiben und unsere Gesellschaften polarisieren. Schuldzuweisungen, Verurteilungen und Wut sind weit verbreitet, da Menschen dem Dopaminrausch des Selbstwertgefühls verfallen, der oft bedeutet, anderen Unrecht zuzusprechen – selbst wenn das mit Lügen oder Verzerrungen verbunden ist. Der Verlust des Zuhörens schafft Konflikte auf allen Ebenen und steht im Widerspruch zum Grundprinzip der Demokratie, das auf Toleranz gegenüber unterschiedlichen Standpunkten und der Akzeptanz des Mehrheitswillens beruht.
Nicht die Gesellschaft leidet unter den Folgen. Wenn man in einem Unternehmen viele Menschen beschäftigt, die nicht gut zuhören, ist das Ergebnis vorhersehbar: Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen mindestens viermal so viel Ressourcen in die Kommunikation nach außen investieren wie ins Zuhören – sei es gegenüber den eigenen Mitarbeitern oder gegenüber Kunden. Teamarbeit, Führung und Geschäftsbeziehungen leiden darunter, wenn die Menschen nicht gut zuhören.
Und natürlich basieren unsere persönlichen Beziehungen auf Zuhören, weshalb die häufigste Beschwerde lautet: „Du hörst mir nie zu!“
Auch andere Arten leiden. Wale, die einst über ganze Ozeane hinweg kommunizieren konnten, leben heute in einem akustischen Nebel, der durch den Motorenlärm von 60.000 gleichzeitig fahrenden Schiffen erzeugt wird.
Wir befinden uns auf einem rutschigen Abhang, auf dem Stille zu einem verschwindenden Erlebnis wird: Es gibt nur noch wenige Orte auf der Erde, die nicht von Flugzeugen überflogen werden, und die akustische Umgebung, die unsere Vorfahren für selbstverständlich hielten – nur die uralten Geräusche von Wind, Wasser und Vögeln – ist im Leben der meisten Menschen immer seltener oder sogar völlig verschwunden. Die lautesten Städte der Welt sind buchstäblich ohrenbetäubend, während Millionen junger Menschen unwissentlich ihr kostbares Gehör durch übermäßig laute Musik schädigen, die ihnen über Kopfhörer tief in die Ohren dringt. Jeder vierte Mensch hat einen Hörschaden, der im weiteren Verlauf zu Isolation, Isolation und Depression führen kann.
Wir müssen dringend wieder zuhören, um die Verbindung zueinander, zum Planeten und zu unseren Mitmenschen wiederherzustellen. Wir alle können damit beginnen, die Stille wiederzuentdecken und zu genießen, wo immer wir sie finden, und sei es nur für ein paar Minuten am Tag. Dann wird uns bewusst, dass Zuhören eine Fähigkeit ist, keine bloße Fähigkeit wie Hören – eine Fähigkeit, die wir üben und meistern können und die enorme Vorteile für unsere Beziehungen, unsere Effektivität und unsere Gesundheit mit sich bringt. Eine globale Wiedergeburt des Zuhörens ist die Grundvoraussetzung, um unsere Zivilisation vor eskalierenden Konflikten und Fragmentierung zu bewahren. Es ist noch nicht zu spät, aber wir dürfen keine Zeit verlieren.
Hören.
Täglich beeinflussen die Geräusche um uns herum jeden Aspekt unseres menschlichen Erlebens und verändern so unsere Lebensqualität grundlegend – im Guten wie im Schlechten. Erst seit kurzem haben Wissenschaftler erkannt, dass Geräusche uns auf eine Weise mit der Welt verbinden, die ebenso lebendig und eindrucksvoll ist wie visuelle Landschaften. Das Gehör ist der erste Sinn, den wir entwickeln, und als unser wichtigster Warnsinn ist es fest in unserem Gehirn verankert. Dennoch schenken die meisten Menschen in einer zunehmend lauten und ablenkenden Welt den Geräuschen um sie herum kaum Aufmerksamkeit und verlieren so die wichtige Fähigkeit des Zuhörens.
In „Sound Affects“ geht es darum, die Faszination des Klangs neu zu entdecken und zu verstehen, wie stark er uns beeinflusst, ob wir nun aufmerksam sind oder nicht. Es ist auch ein Leitfaden, wie wir wieder Verantwortung für die Geräusche übernehmen, die wir wahrnehmen und erzeugen, um unser Glück, unsere Leistungsfähigkeit und unser Wohlbefinden zu steigern.
Über Julian:
Julian Treasure ist ein gefragter und hochkarätiger internationaler Redner. Seine fünf TED-Talks zu verschiedenen Aspekten von Klang und Kommunikation wurden insgesamt über 50 Millionen Mal angesehen. Sein Vortrag „How To Speak So That People Want To Listen“ zählt zu den seltenen Vorträgen, die allein auf TED.com über 20 Millionen Mal aufgerufen wurden und damit zu den zehn erfolgreichsten TED-Talks aller Zeiten gehören.
Julians erstes Buch, „Sound Business“, ist das grundlegende Werk zur Schaffung eines gezielten, effektiven Business-Sounds, das jetzt in der zweiten Auflage vorliegt und auch auf Japanisch erschienen ist.
Sein zweites Buch „How To Be Heard“ ist ein praktischer Leitfaden zur Verbesserung der wichtigen persönlichen Kommunikationsfähigkeiten Sprechen und Zuhören. Das Buch enthält viele einfache Übungen, Interviews mit Experten und wirkungsvolle, transformative Konzepte, die auf seiner 30-jährigen Erfahrung als Redner mit einer Leidenschaft fürs Zuhören basieren.
Julian wurde als Experte für Klang und Kommunikation in den weltweiten Medien, darunter im TIME Magazine, The Economist, The Times sowie in zahlreichen internationalen Fernseh- und Radiosendern und Podcasts, umfassend vorgestellt. Julian ist Mitglied der Worshipful Company of Marketors, Mitglied der Royal Society of Arts und langjähriger Musiker. Er erinnert sich gern an seine beiden BBC John Peel-Sessions von 1981 (die Bands waren Transmitters und Missing Presumed Dead). Er lebt mit Jane und ihrer Tochter Holly auf den Orkney-Inseln in Schottland.